Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 3 (März) - ISSN 1619-2389
 
 RESTRUKTURIERUNGSMAGAZIN
   Zeitschrift für Restrukturierung, Sanierung
   und strategische Unternehmensführung
   ISSN 1867-7517
   www.restrukturierungsmagazin.de

"Das ESUG ist kein Allheilmittel für grundsätzliche Managementfehler"

Berlin - Im Juli 2013 musste die Baumarkt-Kette Praktiker nach Jahren der Krise und vielen gescheiterten Restrukturierungsmaßnahmen Insolvenz anmelden. Wenig später folgte das Tochterunternehmen Max Bahr. War "Zwanzig Prozent auf alles, außer Tiernahrung" doch etwas zu viel? Im Interview mit dem "Restrukturierungsmagazin" erklärt Dr. Stefan Weniger, Partner der hww wienberg wilhelm Gruppe in Berlin und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V. (DGfKM), welche Chancen das geänderte Insolvenzrecht der Baumarktkette bietet - und wo das ESUG nicht mehr helfen kann.

Restrukturierungsmagazin: Zu Beginn des Insolvenzverfahrens hat sich die Praktiker-Großaktionärin Isabella de Krassny mit den Worten zitieren lassen: "Wenn jetzt alle Beteiligten an einem Strang ziehen, lässt sich Praktiker auch in der Insolvenz sanieren". Teilen Sie - mit Blick auf die Neuerungen des ESUG - diese Hoffnung auf eine Sanierung?

Dr. Stefan Weniger: Vom Grundsatz her ja. Beispielsweise ermöglicht der im Zuge des ESUG neu eingeführte Paragraph 225a der Insolvenzordnung die Umwandlung von Gläubigerforderungen in Gesellschaftsanteile. Ein solcher Debt-Equity-Swap entspricht einem teilweisen Forderungsverzicht der Gläubiger im Tausch gegen ein künftiges Mitspracherecht im Unternehmen. Diese Option könnte den Fortbestand des Unternehmens oder wesentlicher Teile sichern. Gleichwohl hängt die Fortführung der Restrukturierung davon ab, ob in der Praxis tatsächlich genügend Investoren gefunden werden, die Schuldverschreibungen erwerben und gegen Praktiker-Anteile tauschen wollen. Völlig unrealistisch ist das nicht - schließlich wurde ein solcher Debt-Equity-Swap durch die Vertretung der Anleihegläubiger bei Praktiker selbst vorgeschlagen.

Restrukturierungsmagazin: Saturn warb einst mit "Geiz ist geil" - und lebt noch heute. Praktiker mit dem Werbespruch "20 Prozent auf alles - außer Tiernahrung" musste Insolvenz anmelden. War die oft kritisierte Preispolitik doch nicht der Grund für den Niedergang der Baumarktkette?

Dr. Stefan Weniger: Eine über mehrere Jahre gefahrene aggressive Preispolitik kann sich irgendwann als Bumerang erweisen. Permanente Großrabatte generieren zwar große Umsätze, führten im Fall von Praktiker aber dazu, dass hinreichende Deckungsbeiträge nicht mehr erwirtschaftet werden konnten. Die Kunden haben sich bald an den Rabatt-Modus gewöhnt und die Baumärkte zwischen den Kampagnen eher gemieden. Volle Regale und leere Parkplätze waren die Folge. Langfristig konnte Praktiker das Discount-Prinzip nicht fortführen, weil es nicht zu einem dauerhaften Kundenzustrom auch jenseits der Rabattaktionen geführt hat. Der viel zu späte strategische Schwenk hin auf das Tochterunternehmer Max Bahr mit höheren Preisen und mehr Service kam zu spät. Das ESUG ist eben doch kein Allheilmittel für grundsätzliche Managementfehler.

Restrukturierungsmagazin: Stichwort Max Bahr. Die Pleite von Praktiker hat auch andere Konzerngesellschaften mit in die Insolvenz gerissen. Vom Bundesministerium für Justiz wurde mittlerweile ein Diskussionsentwurf zur konkreten Ausgestaltung eines Konzerninsolvenzrechts vorgelegt. Wäre den Praktiker-Tochtergesellschaften damit ein ähnliches Schicksal erspart geblieben?

Dr. Stefan Weniger: Vermutlich nicht. Wer auf ein neues Konzerninsolvenzrecht hofft, das über die Grenze des einzelnen Verfahrens hinaus Lösungen anbietet, wird enttäuscht. Beispielsweise ist ein "Massepool", in dem die Insolvenzmassen der verschiedenen Konzerngesellschaften verschmelzen, die Gesellschaften ihre rechtliche Selbstständigkeit verlieren und die gegenseitigen Forderungen untergehen, nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber hat sich aber immerhin zu einem einheitlichen Insolvenzverwalter für die Konzerngesellschaften und zur Koordination der Insolvenzgerichte bekannt. Bei grenzüberschreitenden Insolvenzen, wie bei Praktiker, hilft das Konzerninsolvenzrecht derzeit allerdings noch nicht weiter. Hier muss erst auf die Novellierung der Europäischen Insolvenzverordnung gewartet werden.

© 2013 Krisennavigator. Alle Rechte vorbehalten.
Stand der Informationen: 03. September 2013.
 


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
© Krisennavigator 1998-2024. Alle Rechte vorbehalten. ISSN 1619-2389.
Internet:
www.krisennavigator.de | E-Mail: poststelle@ifk-kiel.de

Krisenthemen
Aktuell
Kurzmeldungen
Krisenmanagement
Restrukturierungsmanagement
Krisenkommunikation
Themenmanagement
Krisenpsychologie
Risikomanagement
Compliancemanagement
Sicherheitsmanagement
Katastrophenmanagement
Business Continuity Management
Krisenforschungsinstitut
Kurzprofil
Bereiche
Publikationen
Interviews
Vorträge
Stellungnahmen
Veranstaltungen
Zeitschriften
Stellenangebote
Ansprechpartner
Krisenberatung
Kurzprofil
Leistungsübersicht
Einzelleistungen
Kommunikationslösungen
Komplettsysteme
Basislösungen
BCM-Systeme
Referenzen
Ansprechpartner
Krisenakademie
Kurzprofil
Leistungsübersicht
Krisenübung & Medientraining
Krisengipfel & Fachtagungen
Seminare & Schulungen
Vorträge & Vorlesungen
Zertifikatslehrgänge
Ansprechpartner
Deutsch   /  English  Letzte Aktualisierung: Donnerstag, 28. März 2024
        Krisenkompetenz als langfristiger Erfolgsfaktor.

Krisennavigator

 

 RESTRUKTURIERUNGSMAGAZIN
   Zeitschrift für Restrukturierung, Sanierung
   und strategische Unternehmensführung
   ISSN 1867-7517
   www.restrukturierungsmagazin.de

"Das ESUG ist kein Allheilmittel für grundsätzliche Managementfehler"

Berlin - Im Juli 2013 musste die Baumarkt-Kette Praktiker nach Jahren der Krise und vielen gescheiterten Restrukturierungsmaßnahmen Insolvenz anmelden. Wenig später folgte das Tochterunternehmen Max Bahr. War "Zwanzig Prozent auf alles, außer Tiernahrung" doch etwas zu viel? Im Interview mit dem "Restrukturierungsmagazin" erklärt Dr. Stefan Weniger, Partner der hww wienberg wilhelm Gruppe in Berlin und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V. (DGfKM), welche Chancen das geänderte Insolvenzrecht der Baumarktkette bietet - und wo das ESUG nicht mehr helfen kann.

Restrukturierungsmagazin: Zu Beginn des Insolvenzverfahrens hat sich die Praktiker-Großaktionärin Isabella de Krassny mit den Worten zitieren lassen: "Wenn jetzt alle Beteiligten an einem Strang ziehen, lässt sich Praktiker auch in der Insolvenz sanieren". Teilen Sie - mit Blick auf die Neuerungen des ESUG - diese Hoffnung auf eine Sanierung?

Dr. Stefan Weniger: Vom Grundsatz her ja. Beispielsweise ermöglicht der im Zuge des ESUG neu eingeführte Paragraph 225a der Insolvenzordnung die Umwandlung von Gläubigerforderungen in Gesellschaftsanteile. Ein solcher Debt-Equity-Swap entspricht einem teilweisen Forderungsverzicht der Gläubiger im Tausch gegen ein künftiges Mitspracherecht im Unternehmen. Diese Option könnte den Fortbestand des Unternehmens oder wesentlicher Teile sichern. Gleichwohl hängt die Fortführung der Restrukturierung davon ab, ob in der Praxis tatsächlich genügend Investoren gefunden werden, die Schuldverschreibungen erwerben und gegen Praktiker-Anteile tauschen wollen. Völlig unrealistisch ist das nicht - schließlich wurde ein solcher Debt-Equity-Swap durch die Vertretung der Anleihegläubiger bei Praktiker selbst vorgeschlagen.

Restrukturierungsmagazin: Saturn warb einst mit "Geiz ist geil" - und lebt noch heute. Praktiker mit dem Werbespruch "20 Prozent auf alles - außer Tiernahrung" musste Insolvenz anmelden. War die oft kritisierte Preispolitik doch nicht der Grund für den Niedergang der Baumarktkette?

Dr. Stefan Weniger: Eine über mehrere Jahre gefahrene aggressive Preispolitik kann sich irgendwann als Bumerang erweisen. Permanente Großrabatte generieren zwar große Umsätze, führten im Fall von Praktiker aber dazu, dass hinreichende Deckungsbeiträge nicht mehr erwirtschaftet werden konnten. Die Kunden haben sich bald an den Rabatt-Modus gewöhnt und die Baumärkte zwischen den Kampagnen eher gemieden. Volle Regale und leere Parkplätze waren die Folge. Langfristig konnte Praktiker das Discount-Prinzip nicht fortführen, weil es nicht zu einem dauerhaften Kundenzustrom auch jenseits der Rabattaktionen geführt hat. Der viel zu späte strategische Schwenk hin auf das Tochterunternehmer Max Bahr mit höheren Preisen und mehr Service kam zu spät. Das ESUG ist eben doch kein Allheilmittel für grundsätzliche Managementfehler.

Restrukturierungsmagazin: Stichwort Max Bahr. Die Pleite von Praktiker hat auch andere Konzerngesellschaften mit in die Insolvenz gerissen. Vom Bundesministerium für Justiz wurde mittlerweile ein Diskussionsentwurf zur konkreten Ausgestaltung eines Konzerninsolvenzrechts vorgelegt. Wäre den Praktiker-Tochtergesellschaften damit ein ähnliches Schicksal erspart geblieben?

Dr. Stefan Weniger: Vermutlich nicht. Wer auf ein neues Konzerninsolvenzrecht hofft, das über die Grenze des einzelnen Verfahrens hinaus Lösungen anbietet, wird enttäuscht. Beispielsweise ist ein "Massepool", in dem die Insolvenzmassen der verschiedenen Konzerngesellschaften verschmelzen, die Gesellschaften ihre rechtliche Selbstständigkeit verlieren und die gegenseitigen Forderungen untergehen, nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber hat sich aber immerhin zu einem einheitlichen Insolvenzverwalter für die Konzerngesellschaften und zur Koordination der Insolvenzgerichte bekannt. Bei grenzüberschreitenden Insolvenzen, wie bei Praktiker, hilft das Konzerninsolvenzrecht derzeit allerdings noch nicht weiter. Hier muss erst auf die Novellierung der Europäischen Insolvenzverordnung gewartet werden.

© 2013 Krisennavigator. Alle Rechte vorbehalten.
Stand der Informationen: 03. September 2013.
 

Deutsch   /  English 

Letzte Aktualisierung: Donnerstag, 28. März 2024

       

© Krisennavigator, Kiel / Hamburg. Alle Rechte vorbehalten.

Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.

Internet: www.krisennavigator.de
E-Mail: poststelle@ifk-kiel.de